Chef des Bundeswehrverbands schlägt Alarm: „Wir haben bis heute keine einzige Panzerhaubitze neu bestellt“

Ein neuer Panzer Leopard 2 A7V, nicht alle Bundeswehr-Panzer sind so gut in Schuss

Eine Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr, die Deutschland an die Ukraine geliefert hat

Foto: Bild
Von: Burkhard Uhlenbroich

Ausbildung, Ausrüstung, Stimmung. Oberst André Wüstner (48), Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbands, weiß, was die Soldaten denken und kritisieren.

In BILD am SONNTAG spricht der Offizier zum Jahrestag der „Zeitenwende“-Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz (64, SPD) am Montag über den Zustand der Bundeswehr und die Bedrohung durch Wladimir Putin.

BILD am SONNTAG: Herr Wüstner, wie lange wird der Krieg in der Ukraine noch dauern?

André Wüstner: „Es wäre naiv zu glauben, dass der Krieg in diesem Jahr vorbei sein wird. Putin wird vorerst von seinen Kriegszielen nicht abweichen. Er wird weiter versuchen, Europa zu destabilisieren. Innenpolitisch bereitet er die russische Bevölkerung auf einen langfristigen Systemkonflikt mit dem Westen vor. Wir erleben ein Kriegsjahrzehnt in Europa. Die Nato und Deutschland müssen sich strategisch auf eine Dekade an Bedrohung ausrichten.“

Was bedeutet das für Deutschland und die Bundeswehr?

Wüstner: „Wir müssen die Ukraine weiter unterstützen und gleichzeitig die Bundeswehr selbst schneller ausrüsten. Nur so können wir gemeinsam mit der Nato für eine glaubwürdige Abschreckung sorgen. Wer abschreckt, verhindert Krieg. Wer nicht abschreckt, lädt ein.“

Seit 2013 ist André Wüstner (48) Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes. Wüstner war in mehreren Auslandseinsätzen, u. a. in Afghanistan. Auf unserem Archivbild war er Oberstleutnant (Eichenlaub mit zwei Sternen auf der Schulterklappe), er wurde inzwischen zum Oberst (drei Sterne) befördert

Seit 2013 ist André Wüstner (48) Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes. Wüstner war in mehreren Auslandseinsätzen, u. a. in Afghanistan. Auf unserem Archivbild war er Oberstleutnant (Eichenlaub mit zwei Sternen auf der Schulterklappe), er wurde inzwischen zum Oberst (drei Sterne) befördert

Foto: picture alliance / Michael Kappe

Wie wichtig ist die Unterstützung der USA für die Ukraine?

Wüstner: „Ohne die USA hätte die Ukraine den Krieg längst verloren. Die Europäer haben in den letzten Jahren zu viele militärische Fähigkeiten abgebaut und sich schlicht auf die USA verlassen. Mit einem Präsidenten Joe Biden hält das transatlantische Bündnis, aber ich mache mir Sorgen, was nach seiner Präsidentschaft passiert. Alle Europäer müssen jetzt ihre Hausaufgaben machen und ihre Bei­träge für die europäische Sicherheitsarchitektur wachsen lassen.“

Ist die Bundeswehr aktuell voll einsatzfähig und abwehrbereit?

Wüstner: „Nein. Das war die Bundeswehr zu Beginn des Kriegs in der Ukraine schon nicht. Aktuell erfüllt sie die zugewiesenen Aufträge, aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was wir in die Nato künftig einbringen müssen. Durch die vielen und richtigen Materiallieferungen an die Ukraine sind weitere Lücken entstanden. Ich zweifle, ob wir die Zusagen an die Nato ab 2025 erfüllen können, wenn wir nicht endlich beschleunigen. Deutschland hat rund 60 Flugzeuge, 20 Schiffe, 20.000 Soldaten und 7000 Fahrzeuge zugesagt.“

Die Bundeswehr hat viel Material aus eigenen Beständen an die Ukraine abgegeben. Wie schnell können Panzer, Haubitzen und Munition ersetzt werden?

Wüstner: „Es geht noch viel zu langsam. Wir haben bis heute keine einzige Panzerhaubitze, die wir im letzten Jahr an die Ukraine abgegeben haben, oder gar Ersatzteilpakete dafür neu bestellt. Das führt dazu, dass bereits weitere unserer wenigen verbliebenen Haubitzen stillgelegt und als Ersatzteillager genutzt werden. Die Folge ist, dass die materielle Einsatzbereitschaft der Artillerietruppe weiter sinkt. Auch die 18 Leopard 2, die wir an die Ukraine abgeben, müssen in den nächsten Wochen nachbestellt werden. Von den rund 300 Leopard-Panzern der Bundeswehr sind aktuell nur 30 Prozent einsatzfähig.“

Verteidigungsminister Pistorius beim Truppenbesuch, hier mit Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK)

Verteidigungsminister Pistorius beim Truppenbesuch, hier mit Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK)

Foto: Getty Images

Kann die Rüstungsindustrie so schnell liefern?

Wüstner: „Deutschland muss beim Thema Rüstung wieder größer denken. Wir brauchen eine europäisch abgestimmte, strategische Planung, mit der die Industrie wieder in eine Serienproduktion übergehen kann. Es wird nur einen Turnaround in der Produktion geben, wenn man der Industrie frühzeitig mitteilt, wie viele Kampfpanzer, Munition und Geschütze die Bundeswehr in den nächsten zwei bis fünf Jahren benötigt, und dafür Abnahmegarantien gibt. Es muss möglich sein, dass monatlich wieder zehn statt drei Leopard-Panzer vom Band rollen.“

Der neue Verteidigungsminister Pistorius hat der Truppe Unterstützung zugesagt. Kann er sein Versprechen einhalten?

Wüstner: „Der neue Minister kommt bei der Truppe gut an. Klare Sprache, klare Kante, keine unüberlegten Schnellschüsse. Er arbeitet sich unter Hochdruck ein. Viele wissen aber auch, dass der Minister bei Haushaltsfragen oder Gesetzgebungsverfahren nicht allein entscheiden kann, sondern die Unterstützung der kompletten Bundesregierung benötigt. Und da ist die Truppe noch skeptisch – zu oft wurde angekündigt und nicht umgesetzt. Boris Pistorius verdient jede Unterstützung, denn auch wenn es einige noch immer nicht wahrhaben wollen, wir müssen wieder mehr für Frieden und Freiheit tun – auch militärisch.“

Bundeskanzler Scholz hat vor einem Jahr die Zeitenwende verkündet. Was hat sich für die Soldaten verbessert?

Wüstner: „Für die Soldaten hat sich seitdem noch nichts spürbar verbessert, was in der Kürze der Zeit auch kaum möglich ist. Dennoch braucht es mehr Tempo. Ob bei Material, Personal oder Infrastruktur, es braucht in dieser Legislaturperiode eine echte, in der Truppe spürbare Wende, sonst war’s das mit der Zeitenwende.“

Brauchen wir mehr Mittel als die versprochenen 100 Milliarden Euro?

Wüstner: „Jeder Fachpolitiker weiß, dass die 100 Milliarden nicht reichen. Die Wehrbeauftragte hat zu Recht geäußert, dass die Bundeswehr perspektivisch 300 Milliarden Euro benötigt. Daher ist wichtig, dass dieses Jahr das Sondervermögen in die Umsetzung kommt und der Verteidigungshaushalt um rund zehn Milliarden steigt. Anders wird die Bundesregierung ihre Versprechen an die Ukraine sowie die Nato nicht einhalten können. Das wäre unverantwortlich.“

Der Inhalt ist leider nicht mehr verfügbar.
Teaser-Bild

Foto: BILD

Dieser Artikel stammt aus BILD am SONNTAG. Das ePaper der gesamten Ausgabe gibt es hier.

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.